Mittwoch, 14. November 2012

Die heile Kuschelwelt der Personaler

Die Bewerbung ist die erste Arbeitsprobe des Bewerbers. Diese Aussage kann man häufig hören, wenn man sich mit Personalern unterhält. Wenn schon die Bewerbung schlampig aufgebaut ist, Interpunktion, Orthografie und Grammatik hapern oder das Curriculum Vitae mehr Fragen, als Antworten liefert, dann ist die Bewerbung als Ganzes gelaufen. Bei so einem wichtigen Schritt wie dem ersten offiziellen Kontakt zu einem potenziellen Arbeitgeber darf der Bewerber nicht schludern. Das haben Bewerber verstanden, jedenfalls das Gros von ihnen.


Wie aber schaut es vice versa aus? Was, wenn der Personaler unprofessionell arbeitet. Kann es sein, dass dadurch möglicherweise gute Bewerber – vermeintliche high potentials – abgehalten werden, sich bei dem Unternehmen zu bewerben?

Welche Fehler können Personaler begehen? Auf bewerber-front informieren Bewerber über ihre Erfahrungen mit den Personalern. Manche Dinge kann man aber auch pauschal ansprechen. Sie gehören zum allgemeinen Erfahrungsschatz aller Bewerber. Was läuft schief bei Bewerbungen in deutschen Unternehmen? Wann führen Fehler der Personaler zum vorzeitigen Abbruch der Bewerbung und zum dauerhaften Imageschaden als Arbeitgeber?

Schauen wir uns zunächst eine normale Bewerbung – also eine Stellenausschreibung an. Viele Personaler befinden sich gedanklich immer noch in der Komfortzone, dass sie die starke Marktseite repräsentieren, der Personalmarkt also ein Käufermarkt sei. Das Unternehmen kauft eine Personalressource und hat das quasi natürliche Recht, als Käufer Fehler zu machen. Der Kunde ist schließlich König.

Also wozu dann aufwändig eine Stellenbeschreibung verfassen mit klarem Assignment – also der möglichst präzisen Definition, welche Aufgaben der Bewerber im Job lösen soll und welchen Beitrag zum Ganzen er leisten soll. Lieber versucht man irgendwelche kryptisch-anglizistisch benannten Jobs zu besetzen. Das klingt gut und verspricht ein hohes Maß an Know-how, wenn man einen Call Center Agent statt einem Telefonisten, einen Facility Manager statt einem Hausmeister sucht.

Wenn schon die Stellenbezeichnung nicht punktet, dann aber die Stellenbeschreibung. Und wenn man sich die genauer anschaut, kann man sich eigentlich guten Gewissens auf alle ausgeschriebenen Jobs bewerben. Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Sprachkenntnisse, Auslandserfahrung, Führungserfahrung, Belastbarkeit – die kann man als Animateur im Club Med gut erwerben. Wozu noch studieren?

Ok, wenn weder die Stellenbezeichnung noch die Stellenbeschreibung helfen, dann bewirbt man sich sicherheitshalber einfach mal, schließlich ist der Bewerber ja Verkäufer und will seine Kompetenz möglichst breit kommunizieren, um das bestmögliche Angebot abzuschließen.

Gesagt, getan. Bewerbung wie angefordert per Email zum Personaler geschickt. Die Email wird mit einem Auto-Reply beantwortet: Der zuständige Personaler ist „out of office“ und in zwei Wochen wieder zu erreichen. Derweil kümmert sich niemand anderes um das Thema.

Wenn man Glück hat, ist der zuständige Personaler aber tatsächlich da. Und ob man es glaubt oder nicht: Selbst die Bestätigung über den Erhalt einer Bewerbung gerät bei manchen Personalern schon zu einer kompetenzüberschreitenden Problematik. Auch eine per Email zugestellte Bewerbung kann schon mal bis zu einer Woche auf eine Bestätigung warten. Manche Personaler machen es sich auch einfach und richten eine automatische Bestätigungsmail ein. Es gibt für einen Bewerber auch nichts Besseres, als auf eine mit viel Mühe erstellte Bewerbung eine unpersönliche Antwort mit Hinweis auf „do not reply“ zu erhalten und erst nicht zu wissen, wann dann mal eine echte, aussagekräftige Antwort kommt.

In der Bestätigung, die ganz professionell irgendwann beim Bewerber eintrifft, versichert der Personaler, dass man die Bewerbung jetzt prüft und nach einiger Zeit auf den Bewerber zukommt. Wie bitte? Getreu dem Fall, dass ein Bewerber ein Produktangebot mit relativ hohem USP anbietet und dieses Produkt nicht ohne weiteres kopierbar ist, könnte man doch eigentlich schon erwarten, etwas präziser zu werden. Wie lange dauert es wohl, eine Bewerbung durchzulesen, nach vorher festgelegten Kriterien zu prüfen und zu entscheiden, wie’s weitergeht?

Bewerbungen sind natürlich unglaublich komplex weshalb niemand vorher genau weiß, wie lange tatsächlich die Bearbeitung dauert. Zwischen zwei und zwölf Wochen. Ok, wollen wir nicht kleinlich sein und uns in Geduld üben. Schließlich geht es bei einer Bewerbung um ein langfristiges Geschäft und da kann man im Vorfeld ruhig Zeit investieren.

Wenn aber der Personaler ankündigt, die Prüfung der Bewerbung dauert zwei Wochen und man hat nach vier Wochen immer noch nichts gehört, könnte man schon den Eindruck gewinnen, das Unternehmen – vertreten durch den Personaler – hat kein rechtes Interesse an dem Bewerber.

Unser Musterbewerber ist leidensfähig und hat durch alle Stufen Geduld und Anstand gewahrt. Jetzt kommt es tatsächlich zur Vereinbarung eines Termins. Da der Personaler sich ja so viele Bewerber anschauen muss, erhält der Bewerber einen klaren Terminvorschlag: Kommen Sie doch bitte am 13. des Monats um 15.00 Uhr zu einem Vorstellungsgespräch. Der Bewerber akzeptiert, fährt zur Bewerbung und darf dann erst einmal zwanzig Minuten warten. Warum auch nicht, schließlich will der Bewerber ja was vom Personaler und nicht etwa umgekehrt.

Wenn das Gespräch endlich beginnt, darf sich der Bewerber durch ein einstudiertes Repertoire von Psychospielchen arbeiten. Was der Job eigentlich ist, was von ihm erwartet wird, welche konkreten Aufgaben er in den ersten vier Wochen zu erledigen hat: All das erfährt der Bewerber während des Bewerbungsgesprächs nicht. Er macht stattdessen diverse Eignungstests, lässt sich vom Bad Cop in die Mangel nehmen und darf dümmliche Fragen („was ist ihre größte Schwäche“) über sich ergehen lassen.

Wäre das nicht schon alles schwächlich genug, krönt der Personaler diese erfolgreiche Bewerbungsprozedur mit der sehr präzisen Aussage: „Wir melden uns dann bei Ihnen“. Klar, warum auch genauer, schließlich sitzt der Bewerber zuhause und wartet auf den erlösenden Anruf. Wochenlang. Und in der Zeit spricht er natürlich nicht mit anderen Arbeitgebern.

Sollte man tatsächlich annehmen, dass zumindest in einigen Märkten qualifiziertes Personal zu einer Schlüsselressource geworden ist, darf man auch ohne viel Polemik guten Gewissens unterstellen, dass die Personaler heute wahrscheinlich einen der letzten Bereiche im Unternehmen bilden, deren Prozesse noch nicht aufgenommen, analysiert und optimiert worden sind. Personaler behandeln Bewerbungen immer noch häufig nach Gutsherrenart und mit fragwürdigen Methoden, deren Wirksamkeit vor allem hinsichtlich ihrer Validität in keiner Weise belastbar geprüft ist.

Schöne alte Bewerbungswelt. Während alles modern und schlank organisiert ist, man in der Produktentwicklung mit Crowdsourcing, im Marketing mit Social Media und in der Forschung mit Design Thinking arbeitet, ist bei den Personalern alles noch so wie kurz nach dem Krieg. Schön gemütlich, schön unverbindlich und in keiner Weise messbar. Also einfach paradiesisch. 

 Prof. Dr. Thomas Becker (Gastblogger)

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